Es wurde ganz still und viele hielten den Atem an, als am Sonntag, dem 17. März 2024, im Hangar des Flughafens auf der Bengener Heide der Solist (Tenor) gegen Ende der Matthäus-Passion den Tod Jesu mit wenigen Worten, aber ergreifender Musik dreimal feststellte. Fast 250 Zuhörerinnen und Zuhörer waren in die zur Konzerthalle umfunktionierte Flugzeughalle gekommen. Sie erlebten die Aufführung eines Werkes, das mit seiner Dramatik und auch mit Provokationen und Zumutungen tiefe Gefühle anzusprechen und zu berühren vermag. Komponiert hat es 1769 der zweite Sohn des berühmten Johann Sebastian Bach, Carl Philipp Emanuel (1714-1788).
Matthäus-Passion mit komplexer Schönheit
Mit dem heutzutage selten aufgeführten Werk hatte sich unser neuer, junger Chorleiter Henrik Hasenberg direkt viel vorgenommen. Wir Sängerinnen und Sänger mühten uns zunächst in den Proben mit großen Tonsprüngen, Dissonanzen, Halbtonschritten, den richtigen Einsätzen und der Abstimmung ab. Das Werk erschloss sich uns aber auch in seiner ganzen komplexen Schönheit immer mehr. Als dann am Sonntag der Aufführung zum ersten und einzigen Mal die gesamte Passion mit allen Solistinnen und Solisten und mit dem Orchester zu erleben war, wurde eindringlich spürbar und bewusst, warum man die Kompositionen Carl Friedrich Emanuel Bachs als „empfindsame Musik“ charakterisiert und sie damit von der Phase des Barock abheben will.
Fünf junge Solistinnen und Solisten und ein Barockensemble
Zum emotionalen Gesamteindruck trugen auch die beiden jungen Sopranistinnen Julia Schneider und Irene Müller aus Köln, die Altistin Hanna Schäfer, der Tenor Maximilian Fieth, beide ebenfalls aus Köln, und der gebürtige Engländer Benjamin Hewat-Craw, der als Bassist besonders beeindruckte und brillierte, bei. Instrumentell unterstützt wurde die Aufführung vom Barockensemble Cappella Santa Croce. Das Ziel des Ensembles ist es, die sogenannte Alte Musik lebendig zu halten und emotional zum Klingen zu bringen. Entsprechend werden oft, so auch am Sonntag, historisch Instrumente verwendet. Die beiden Hornisten machten bei der Arie „Donnre nur ein Wort“ gewaltig Eindruck.
Das Leiden Jesu und das Leid nach der Ahrflut
Bei jeder Passionserzählung und -aufführung geht es ums Ganze, um tiefe menschliche Erfahrungen, zuvörderst die des unschuldigen Leidens, verbunden mit Niedertracht, die auch in der menschlichen Natur angelegt ist. Derartige schwierig in Worte zu fassende ohnmächtige Leiderfahrungen haben viele Menschen vor nunmehr fast drei Jahren im Ahrtal gemacht. 137 Menschen starben in der furchtbaren Flut. Sie wurden nach ihrer Bergung zunächst in den Hangar des Flughafens auf der Bengener Heide gebracht, um sie dort zu identifizieren. Mit der Aufführung der Matthäus-Passion an diesem Ort wollten wir in besonderer Weise der Flutopfer und ihrer Angehörigen gedenken.
Heute: österliche Hoffnung an der Ahr
Eine Passionserzählung bleibt nicht bei Leid und Tod stehen. Ihre schonungslose Offenbarung negativer Erfahrungen wird getragen und ermöglicht durch die Perspektive und Erfahrung der Hoffnung: Die göttliche Kraft der Liebe, die alles durchdringt, ist stärker als Zerstörung, Verlust und Tod. Das ist für Christen die Perspektive von Ostern, aus der sie leben.
Der erste Beigeordnete der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler, Peter Diewald, griff diese Perspektive in beeindruckender Weise auf. Er sagte in seiner Rede vor Beginn des Konzerts als Stellvertreter von Bürgermeister Guido Orthen: Man habe sich inzwischen an der Ahr wieder ein gutes Stück inmitten der Erfahrung des Leids auf eine Ostererfahrung zubewegt.
Am Ende eines denkwürdigen Konzertes hielt es die Zuhörerinnen und Zuhörer beim lang anhaltenden Applaus nicht mehr auf ihren Sitzen.
Singen Sie mit!
Wir hoffen, dass mit dieser Aufführung ein guter Impuls erfolgte, neue Sängerinnen und Sänger zum Mitsingen zu bewegen. Unsere Proben finden immer montags abends, derzeit in Kirchdaun, statt. Wenn Sie interessiert sind, kommen Sie einfach direkt vorbei (aktuelle Proben-Infos hier). Oder Sie schreiben uns eine Mail unter info@kammerchor-aw.de, wenn Sie Fragen haben. Wir freuen uns auf Sie!
Text: Bernd Schmidt, Bass
Fotos: Wolfgang Hahne und Elke Neugebauer, Film- und Fotoclub Ahrweiler e.V.